Kormoranfischerei am Nagara-Fluss in Gifu (岐阜長良川鵜飼)

Wo Kormorane die Arbeit verrichten – und damit religiöse Bedenken zerstreuen

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Nagaragawa, Gifu (長良川・岐阜)

Ukai (Nagaragawa in Gifu (岐阜長良川鵜飼)

Wenn die „Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens“ (OAG) Exkursionen anbietet, kann in aller Regel mit einem wahren Schmankerl gerechnet werden. Ein ganz besonderes bot sich allerdings am letzten Wochenende im September, als es darum ging, sich anhand eines praktischen Beispiels in die hohe Kunst der Kormoranfischerei einweisen zu lassen. In Europa ist diese Form der Fischerei fast vergessen (zu feudalen Zeiten war sie dort mehr Ausdruck sportlicher Ambition des Adels), in Japan (wie auch in anderen Ländern Ostasiens) lebt sie bis heute weiter und wird nach Kräften kultiviert.

In Japan betreibt man die Kormoranfischerei seit mindestens 1.300 Jahren (es gibt aber auch Quellen aus noch früheren Zeiten). Mehr noch: Am 2. März 2015 wurde das Brauchtum der Kormoranfischerei am Nagara-Fluss in Gifu (Nagaragawa-Ukai / 長良川鵜飼 / ながらがわうかい) als „Wichtiges Immaterielles Volkskulturgut“ in Japan registriert, und derzeit gibt es Bestrebungen, die Kormoranfischerei auch als Immaterielles Kulturgut von der UNESCO anerkennen zu lassen.

Wer sich keine Vorstellung davon machen kann, was es mit Kormoranfischerei überhaupt auf sich hat (und es ist durchaus keine Schande, sich dazu zu bekennen), dem sei gesagt: In Japan werden dazu wild gefangene Japan-Kormorane (phalacrocorax capillatus) in einem einige Monate in Anspruch nehmenden Prozess darauf trainiert, für den Menschen auf Fischfang zu gehen.
Im Japanischen nennt man diese Vögel übrigens „Meeres-Kormorane“ (海鵜 / ウミウ) – zur Unterscheidung von der in Japan „Fluss-Kormoran“ (川鵜 / カワウ) (phalacrocorax carbo) genannten, kleineren Gattung, die in freier Wildbahn mehr an Binnengewässern anzutreffen ist.

Gifu Ukai Museum (岐阜鵜飼ミュージアム)

Japan-Kormoran (links) – “Fluss”-Kormoran (rechts)

Kormoranfischerei wird im Japanischen mit dem etwas euphemistisch klingenden Wort „Ukai“ (鵜飼 / うかい) bezeichnet, wobei die beiden Schriftzeichen eigentlich für „Kormoran“ (鵜 / う) und „halten / züchten“ (飼う / かう) stehen, die Bezeichnung also unterschlägt, dass man die Tiere nicht einfach nur hält (ganz abgesehen davon, dass Japan-Kormorane sich in Gefangenschaft nicht vermehren, also auch nicht züchten lassen), sondern sie auch für sich arbeiten lässt (aber das machen wir bei z.B. “Rinderhaltung” im Deutschen ja auch nicht anders). Den Vögeln wird nämlich, bevor sie zum Fischen zu Wasser gelassen werden, eine Schlinge um den Hals gelegt, mittels derer die Kormorane nicht nur „dirigiert“ werden können, sondern die auch verhindert, dass sie die gefangenen Fische gleich dem Eigenverzehr zuführen. Lediglich kleine Fische, die für den Menschen nicht von Interesse sind, können gegebenenfalls an Ort und Stelle von den Kormoranen verschluckt werden.

Besonders am Nagara-Fluss (長良川 / ながらがわ) in Gifu (岐阜 / ぎふ)ist man auf die jahrhundertealte Tradition des Fischfangs mit Kormoranen stolz. Das Wissen der Fischer wird in aller Regel nur innerhalb von sechs Fischerfamilien weitergegeben und die Fischrechte entsprechend vererbt. Obendrein wird hier unter dem Protektorat (und einer nicht ganz zu verachtenden Bezahlung) durch das japanische Kaiserhaus gefischt. Sehen Sie unten einen “waschechten” Kormoranfischer während eines einführenden Vortrags über sein Handwerk.

Die Fischermeister (ushō / 鵜匠 / うしょう) tragen auch heute noch eine traditionelle Arbeitsbekleidung, die auf die Heian-Zeit (8. bis 12. nachchristliches Jahrhundert) zurückgeht. Schauen wir uns die einzelnen, auf den ersten Blick archaisch wirkenden Kleidungsstücke an, die aber auch heute noch voll und ganz ihren Zweck erfüllen:

Ukai (Nagaragawa in Gifu) (岐阜長良川鵜飼)

Ukai (Nagaragawa in Gifu) (岐阜長良川鵜飼)

  1. Schwarze Fischermütze: Kazaorieboshi: (風折鳥帽子 / かざおりえぼし), eigentlich eine formelle schwarze Hofbeamtenmütze, die die Kopfbehaarung des Fischers vor dem Feuer (Erklärung siehe weiter unten) schützt
  2. Fischerkleidung: Ryōfuku (漁服 / りょうふく) aus dunkel gefärbter Baumwolle
  3. Brustschutz: Muneate (胸あて / むねあて) zum Schutz vor Funkenflug und Verbrennungen durch Harz
  4. Strohrock: Koshimino (腰蓑 / こしみの) zum Schutz vor Feuchtigkeit und Kälte
  5. Ashinaka (足半 / あひなか) „halbe“, aus Stroh gefertigte Sandalen zur Reduzierung der Rutschgefahr auf den nassen Planken des Fischerbootes

Mit sich an Bord des Kormoranfischerbootes hat der Fischermeister jeweils zwei Hilfskräfte:

  1. Bootsführer/Steuermann: Tomonori (とも乗り / とものり)
  2. Bootsassistent: Nakanori (中乗り / なかのり)

Die Kormoranfischerboote (鵜舟 / うぶね) auf dem Nagara-Fluss in Gifu sind 13 Meter lang und erinnern in ihrer kastigen Bauform ein bisschen an einen Einbaum, sind allerdings aus einzelnen Planken gebaut. Folgende Bestandteile bzw. Utensilien sind unentbehrlich für die Kormoranfischerei am Nagara-Fluss:

  1. Feuerkorb: Kagari (篝 / かがり)
  2. Feuermast: Kagaribō (篝棒 / かがりぼう)
  3. Feuerholz: Matsuwariki (松割木 / まつわりき)
  4. Fischerei-Feuer: Kagaribi (篝火 / かがりび)
  5. Leine für den Kormoran: Tanawa (手縄 / たなわ)
  6. und natürlich die geflochtenen Körbe, in denen die Kormorane an Bord gebracht werden.

Da ich kein Foto von einem Kormoranfischerboot mit all seinen Bestandteilen habe, soll diese Ansicht eines noch nicht voll “aufgetakelten” Boots genügen (der Feuermast ist aber auch hier deutlich zu erkennen):

Nagaragawa, Gifu (長良川・岐阜)

Nagaragawa, Gifu (長良川・岐阜)

Da der traditionelle Fischfang auf dem Nagara-Fluss nachts stattfindet, werden die Fische mit lodernden Feuern angelockt – ohne die eigenartig gewickelte Kopfbedeckung des Fischers würde es auf der Welt wahrscheinlich nur kahlköpfige Ushō geben…

Dabei zielt der Fischfang in erster Linie auf eine ganz besondere Delikatesse ab: auf den Ayu (鮎 / あゆ) (plecoglossus altivelis). Dieser auf den ersten Blick der Forelle ähnelnde Fisch, dessen Name man auch mit „sweetfish“ übersetzt, wird, besonders wenn er von Kormoranen gefangen wurde, zu stattlichen Preisen verkauft – bzw. ans Kaiserliche Hofamt geliefert. Der Fisch zeichnet sich durch eine ungewöhnlich widerstandsfähige Haut und extrem zartes, weißes Fleisch aus. Am beliebtesten ist der Verzehr in gegrillter Form. Aber wie weiter unten zu sehen ist, lassen sich aus dem Fisch auch allerlei andere Spezialitäten herstellen.
Da es streng nach buddhistischen Regeln lebenden Menschen nicht gestattet ist, Lebewesen zu töten, ist deren Ernährung notgedrungen vegetarisch. Allerdings gibt es Ausnahmen. Und eine solche stellt der Fischfang mit Kormoranen dar. Da die gefangenen Fische nicht vom Menschen, sondern von den Vögeln getötet werden, ist deren bedenkenloser Verzehr auch einem hartgesottenen Buddhisten möglich. Was dem Katholiken (in abgewandelter Form) während der Fastenzeit recht ist, darf dem Buddhisten natürlich auch billig sein…

Ukai (Nagaragawa in Gifu) (岐阜長良川鵜飼)

Ukai (Nagaragawa in Gifu) (岐阜長良川鵜飼)

Wer es weniger mit der naturkundlichen und historischen Seite der Kormoranfischerei hat, kommt bei einer abendlichen Bootsfahrt in der Zeit von Mitte Mai bis Mitte Oktober (im Jahr 2016 dauert die Kormoranfischerei-Saison vom 11. Mai bis zum 15. Oktober) trotzdem voll auf seine Kosten. Die überdachten Nachen bringen Gruppen von 15 bis 50 Personen zunächst zu einem festlichen Mahl mit Ayu-Spezialitäten auf den Fluss hinaus.

Und danach wird bei Feuerbeleuchtung zugeschaut, wie die Kormorane vom Fischermeister geschickt durch das Wasser dirigiert werden und ihnen ihre Ausbeute ebenso geschickt wieder aus dem Rachen entnommen wird.

Sehr anschaulich führt übrigens das Ukai-Museum in Gifu mit interaktiven und multivisuellen Ausstellungen in die Welt der Kormoranfischerei ein.

http://ukaimuseum.jp/en/index.html

Adresse des Museums:

Nagaragawa Ukai Museum
(Gifu City Nagaragawa Ukai Denshokan)
51-2 Nagara
Gifu City, 〒502-0071

Nähere Informationen zu den nächtlichen Bootsfahrten zur Kormoranfischerei finden Sie hier (leider ausschließlich auf Japanisch):

https://www.ukai-gifucity.jp/ukai/

Googlemaps:

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