Der „Grüne Weg“ am Kitazawa-Fluss (北沢川緑道), Setagaya (世田谷)

Ländliche Idylle mitten in der Großstadt

Kitazawagawa Green Way (北沢川緑道)

Kitazawagawa Green Way (北沢川緑道)

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Wenn man bedenkt, dass in der Gegend von Tōkyō das Abflussgebiet mehrerer Flüsse ins Meer liegen muss, ist es erstaunlich, wie wenige Wasserläufe man in Tōkyō tatsächlich zu sehen bekommt. Das liegt nicht nur daran, dass in den 60er Jahren die Stadt mit ihrem heute noch intakten Hochstraßensystem überbaut wurde und diese Straßen vorzugsweise dort angelegt wurden, wo eben Platz war: über Flussläufen. In erster Linie liegt es auch daran, dass schon früh damit begonnen wurde, die die ganze Stadt durchziehenden Flüsse und Bäche zu bändigen – noch in den Kriegsjahren (meist) friedlich dahinplätschernde Flüsschen wurden spätestens nach dem Krieg in Betonrinnen gezwungen bzw. später komplett zugebaut. Der Kitazawa-Fluss im Stadtteil Setagaya ist ein hübsches Beispiel dafür.

Bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts war das Wasser des Kitazawa-Flusses für landwirtschaftliche Zwecke genutzt worden. Außerdem war sein Fischbestand als überaus üppig bekannt (Karauschen und Schmerlen tummelten sich hier). Je stärker die Siedlungsgebiete um ihn herum aber wuchsen, um so stärker wurde sein Wasser verunreinigt. In den 1940er Jahren schließlich wurde der Fluss komplett kanalisiert und damit begonnen, ihn „unter“ die Straße zu verlegen (sprich: eine Fahrbahn über dem Flussbett zu errichten).
Inzwischen hat man sich aber an den Reiz eines natürlichen Wasserlaufs erinnert und ab 1995 die ersten Schritte unternommen, mit einem Teil des „unterirdisch“ fließenden Wassers den knapp 2,5 Kilometer langen „Kitazawa River Green Way“ anzulegen, eine sich durch den Betondschungel schlängelnde, grüne Oase mitten in der Stadt.
Das Wasser, das hier friedlich vor sich hin plätschert, ist nicht nur hübsch anzusehen, sondern auch von besonderer Reinheit. Da sich die Wasserqualität aufgrund der Vereinbarung mit der Präfekturregierung Tōkyōs bis zur Einleitung in den Megurogawa (目黒川 / めぐろがわ) nicht verschlechtern darf, wird das Wasser vor der Einleitung in die Grünanlage noch ein weiteres Mal gereinigt und erreicht den Megurogawa in der Nähe der Brücke „Ikejiri Ōhashi“ (池尻大橋 / いけじりおおはし).

Kein Wunder also, dass sich heute wieder erstaunlich große Karpfen, aber auch kleinere Fische und Krebse in diesen Wasserläufen tummeln – ein willkommener Spiel- und Abenteuerplatz für Kinder (aber auch Erwachsene).

Wir beginnen unseren Spaziergang am Enjō-in (円乗院 / えんじょういん), etwa 500 Meter südlich des Bahnhofs Setagaya-Daita (世田谷代田駅 / せたがやだいたえき) der Odakyū-Linie (小田急線 / おだきゅうせん).

Der kleine, dafür aber umso gepflegtere Tempel der Shingon-Sekte, der im Jahre 1625 gegründet wurde, bildet einen fotogenen Einstieg in die kleine Wanderung. Genießen Sie die Gartenanlagen, beachten Sie aber auch die „Baumruine“ im Hof des Tempels – ein mahnendes Überbleibsel aus den Tagen der Luftangriffe des 2. Weltkriegs.

Nach ca. 700 Metern biegen wir hinter der Grundschule von Daizawa 区立代沢小学校 / くりつだいざわしょうがっこう) (linker Hand, sprich: nördlich gelegen) einmal kurz für 230 Meter in nördlicher Richtung ab und besuchen ein weiteres Kleinod. Hier finden wir nämlich zunächst den durchaus sehenswerten buddhistischen Tempel Shingan-ji (森巖寺 / しんがんじ).

Dieser Tempel gehört zur Jōdo-Sekte des japanischen Buddhismus und wurde in der frühen Edo-Zeit als Begräbnisstätte für Hideyasu Yūki (結城 秀康 / ゆうきひでやす) (1574-1607) gegründet. Dieser Herr Yūki war allerdings nicht irgendwer. Er war als zweiter Sohn des ersten Tokugawa-Shōguns, Ieyasu Tokugawa (徳川家康 / とくがわいえやす) zur Welt kommen. Und als Angehöriger der Familie der als Shōgune regierenden Tokugawa war es sein Wunsch gewesen, nahe des Zentrums der Macht beigesetzt zu werden, obwohl er zeitlebens Lebens ein eher angespanntes Verhältnis zu seinem leiblichen Vater gehabt haben soll.

Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass das Familienemblem der Tokugawa (drei Blätter des Haselwurzes) hier überall gefunden werden kann.
Der gigantische Gingko-Baum, der in der Mitte des Tempelgeländes steht, stammt aus dieser Zeit, bzw. wird sogar auf bis zu 200 Jahre älter geschätzt

Das älteste erhaltene Gebäude ist der Awashimadō (淡島堂 / あわしまどう) aus dem Jahre 1836.

Gleich links daneben fällt ein achteckiger Glasschrein, der der Gottheit Benzaiten geweiht ist, auf.

Shingan-ji (森巖寺) - Benzaiten (弁財天)

Shingan-ji (森巖寺) – Benzaiten (弁財天)

Und auf jeden Fall sollte man auch einen Blick in den Fudōdō (不動堂 / ふどうどう) / Enmadō(閻魔堂 / えんまどう) nebenan werfen.

Shingan-ji (森巖寺) - Fudōdō (不動堂) / Enmadō(閻魔堂)

Shingan-ji (森巖寺) – Fudōdō (不動堂) / Enmadō(閻魔堂)

Wie der Doppelname des Gebäudes schon suggeriert, ist dieses Bauwerk Heimstätte für Fudō-myōō (不動明王 / ふどうみょうおう), den grimmig dreinschauenden Feuergott (während meines Besuches nur verhüllt zu sehen) und Enma (閻魔 / えんま), den Höllenrichter. Gleich daneben die vergleichsweise kleine, dafür aber nicht weniger angsteinflößende Statue der „Sōzukaba“ (葬頭河婆 / そうずかば) der „Kleider abreißenden Alten“. Nach volkstümlicher Überlieferung des japanischen Buddhismus ist sie eine furchterregende hagere Alte, die am Grenzfluss zur Unterwelt auf die Verstorbenen wartet und ihnen die Kleider vom Leibe reißt.

Und gleich daneben lohnt der Kitazawa Hachiman Jinja (北澤八幡神社 / きたざわはちまんじんじゃ) ebenfalls einen Abstecher.

Die hier verehrte Schutzgottheit Hachiman (八幡 / はちまん) hat die Aufgabe, den Nordteil Setagayas zu schützen. Die Ursprünge des Schreins sind nicht verbürgt, aber man geht davon aus, dass er auf eine Gründung der Burgherren von Setagaya aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zurückgeht. Nach Zerstörungen hat man den Schrein 1852 neu errichtet.

Seine exponierte Lage auf einem kleinen, bewaldeten Hochplateau sorgte noch vor wenigen Jahren dafür, dass man von hier aus den Fuji-san (富士山 / ふじさん) sehen konnte (wie Hinweisschilder verkünden). Städtische Wucherungen haben diesen Blick inzwischen aber „verstellt“.

Kitazawa Hachiman Jinja (北澤八幡神社) - ehemaliger Fuji-Blick

Kitazawa Hachiman Jinja (北澤八幡神社) – ehemaliger Fuji-Blick

Kitazawa Hachiman Jinja (北澤八幡神社) - Fuji-Blick 2019

Kitazawa Hachiman Jinja (北澤八幡神社) – Fuji-Blick 2019

Am ersten Wochenende im September findet hier eines der größten Feste des Bezirks Shimokitazawa (下北沢 / しもきたざわ) statt.

Vom Kitazawa Hajiman Jinja sind es ca. 250 Meter in südlicher Richtung, um wieder zum Kitazawagawa Green Way zurückzukommen. Von dort sind es dann noch etwa 1,7 Kilometer bis zu dessen östlichen Ende an der oben genannten Ikejiri Ōhashi, an der Sie auf ein weiteres stadtplanerisches Highlight stoßen:

Meguro Sky Garden (目黒天空庭園)
– Ein Verkehrsknotenpunkt mal ganz anders

Meguro Sky Garden (目黒天空庭園)

Meguro Sky Garden (目黒天空庭園)

Wie man hinkommt:

Wenn man den Kitazawagawa Green Way von Westen kommend beschlendern möchte (wie hier beispielhaft geschehen), mit der Odakyū-Linie (小田急線 / おだきゅうせん) zum Bahnhof Setagaya-Daita (世田谷代田駅 / せたがやだいたえき) und vom dortigen Südausgang ca. 500 Meter in südlicher Richtung.
Für diejenigen, die den Spaziergang im Osten beginnend machen wollen, bietet sich der Nordausgang des Bahnhofs Ikejiri-Ŏhashi (池尻大橋駅 / いけじりおおはしえき) der Den’entoshi-Linie (田園都市線 / でんえんとしせん) an.

Die öffentliche Anlage ist selbstverständlich rund um die Uhr „geöffnet“.

3 Responses to Der „Grüne Weg“ am Kitazawa-Fluss (北沢川緑道), Setagaya (世田谷)

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