Ōkunitama Jinja (大國魂神社) (dt.)

Über 1.900 Jahre gelebte Geschichte

Ōkunitama Jinja (大國魂神社)

Ōkunitama Jinja (大國魂神社)

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Dass der gewiefte Japan-Tourist sich gleich nach der Landung in Tōkyō oder Ōsaka vorzugsweise auf dem schnellsten Wege nach Kyōto aufmacht, ist auf dieser Webseite ja schon mehr als einmal mit großer Verwunderung zum Ausdruck gebracht worden. Ohne den touristischen und historischen Wert Kyōtos in Frage stellen zu wollen, soll an dieser Stelle aber wieder einmal erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass Tōkyō diesbezüglich nicht gering geschätzt werden darf. Es ist weit mehr als pulsierende, hochmoderne Megametropole. Es lässt sich auch nicht auf das beliebte Klischee der angeblich ach so japanischen Koexistenz von uralter Tradition und schillernder Moderne reduzieren. Dass Tōkyō vielmehr eine unvorstellbar facettenreiche Metropole ist, die auch diejenigen, die schon alles zu kennen glauben, überraschen kann, soll hier anhand eines der einerseits wichtigsten, aber wahrscheinlich auch unbekanntesten Schreine der Stadt dokumentiert werden.

Der Ōkunitama Jinja (大國魂神社 / おおくにたまじんじゃ) in der Stadt Fuchū (府中 / ふちゅう) in der Präfektur Tōkyō (東京都 / とうきょうと) ist einer der wichtigsten der Region und gleichzeitig einer der ranghöchsten in Tōkyō. Er wird in der strengen Schreinhierarchie des Shintō als „Kaiserlicher Schrein des dritten Ranges“ (官幣小社 / かんぺいしょうしゃ) in Tōkyō nur vom Hie Jinja (日枝神社 / ひえじんじゃ) im Stadtteil Chiyoda (千代田区 / ちよだく) und dem Meiji Jingū (明治神宮 / めいじじんぐう) im Stadtteil Shibuya (渋谷区 / しぶやく) übertroffen (und dem sozusagen „außer Konkurrenz laufenden“ Yasukuni Jinja (靖国神社 / やすくにじんじゃ) im Stadtteil Chiyoda (千代田区 / ちよだく).

Außerdem ist er wahrscheinlich der älteste der ganzen Region – zumindest kann er auf die längste, mehr oder minder belegte Historie zurückblicken. Er soll nämlich auf eine Gründung des Keikō Tennō (景行天皇 / けいこうてんのう) im Jahre 111 zurückgehen. Dieser Kaiser mag zwar nicht mit historisch belastbaren Fakten belegt werden, aber immerhin war er nach den alten Geschichtswerken Japans, dem Kojiki (古事記 / こじき) und dem Nihonshoki (日本書紀 / にほんしょき) – beide aus dem 8. nachchristlichen Jahrhundert – der 12. Kaiser Japans (vom Jahre 71 n.Chr. bis 130 n.Chr.).
Geschichtlich relevant wird der Schrein aber wohl erst im frühen 11. Jahrhundert, als die Begründer des Kamakura Shōgunats hier ihre Gebete verrichteten. Hier wurden die Gottheiten von sechs Schreinen in der historischen Provinz Musashi (武蔵国 / むさしのくに) (auf deren Gebiet sich heute die Präfekturen Tōkyō, Saitama und ein Stück von Kanagawa befinden) zusammengeführt und verehrt. Seinen heutigen Namen trägt der Schrein seit dem Jahre 1872 (nachdem im Jahre 1871 das Rang-System (shakaku / 社格 / しゃかく) für alle Schreine eingeführt worden war).

Überregionale Bedeutung hat auch das alljährlich vom 30.4. bis zum 6.5. hier stattfindende Kurayami Matsuri (くらやみ祭り / くらやみまつり). „Kurayami“ bedeutet „Dunkelheit“ – es weist darauf hin, dass die Zeremonien dieses shintōistischen Festes in alten Zeiten zu nächtlichen Zeiten durchgeführt wurden (zwei der Hauptattaktionen des Festes finden auch heute noch teilweise bei Dunkelheit statt). Man erzählt sich davon, dass es im Schutze der Dunkelheit früher recht „locker“ zugegangen sein soll. Offensichtlich so locker, dass das Festival während der Meiji-Zeit (1868-1912) zeitweise komplett untersagt wurde (prüde Westler und christliche Eiferer hatten sich gegen die angebliche Unzucht auf dem Fest verwehrt). 1959 wurden die Veranstaltungen in die Tag- und frühen Abendstunden verlegt hat.

Heutzutage lockt das Festival alljährlich fast eine Dreiviertelmillion Besucher an. Begünstigt wird es hierbei natürlich auch durch den Umstand, dass in diese „Goldene Woche“ genannte Zeit eine ganze Reihe von Nationalfeiertagen fällt.
Zu den Höhepunkten des Festivals gehören die Umzüge der acht prächtigen „Göttersänften“ (mikoshi / 神輿 / みこし) die am Abend des 5. Mai (ab 18 Uhr) den Schrein verlassen und am Morgen des 6. Mai bis 9 Uhr morgens wieder zum Schrein zurückkehren.
Am Abend des 3. Mai findet ab 20 Uhr ein nächtliches Pferderennen (kamakurabe / 競馬式 / こまくらべ) statt.

Über die lange Zelkoven-Allee (ケヤキ並木 / けやきなみき), die den Zugang zum Schrein bildet, gelangt man zum ersten Gebäude des Ōkunitama Jinja, zum grandiosen Zuishinmon (隨神門 / ずいしんもん), das im Jahre 2011 (zur 1.900-Jahr-Feier des Schreins) neu errichtet wurde. Mit seinen 8,50 Metern Höhe, 25 Metern Breite, einer inneren Torhöhe von 4,50 Metern und dem weit ausladenden, geschwungenen Dach gehört es nicht nur zu den ganz außergewöhnlichen des Landes, sondern gibt auch einen Eindruck von der Größe der Prozession der Mikoshi, die sich hier „durchzwängen“ muss.
Ungewöhnlich ist wahrscheinlich auch, dass dieses Tor auf beiden Seiten des Durchgangs von je zwei Elefantenköpfe geziert wird – was man gewöhnlich mehr an buddhistischen Tempeln sieht. Das Tor wird sowohl auf seiner Außen- als auch auf seiner Innenseite von farbenfrohen Statuen „bewacht“.

Vorbei am Trommelturm (鼓楼 / ころう) linker Hand (1646 durch Feuer zerstört, 1854 wiedererrichtet), geht es weiter zum roten Chūjaku-mon (中雀門 / ちゅうじゃくもん), das mit einer Gesamtlänge von 80 Metern die gesamte Nordflanke des Schreingeländes abschirmt und 1969 in seiner jetzigen Form erreichtet wurde.

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Trommelturm (鼓楼)

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Trommelturm (鼓楼)

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Chūjaku-mon (中雀門)

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Chūjaku-mon (中雀門)

Das Tor durchschreitend, kommt man zur eindrucksvollen „Gebetshalle“ (haiden / 拝殿 / はいでん), die in ihrer heutigen Form aus dem Jahre 1885 stammt (1978 renoviert). Das Verwaltungs- und Devotionalien-Verkaufsgebäude rechter Hand war zur 1.900-Jahr-Gedenkfeier (2011) errichtet und 2006 fertiggestellt worden.


Von hier bietet es sich an, den das zentrale Heiligtum darstellenden Honden (本殿 / ほんでん) des Schreins zu umrunden. Auf diesem Weg kommt man am recht hübschen und sehr “altertümlich wirkenden Tōshōgū (東照宮 / とうしょうぐう) vorbei, der im Jahre 1618 zu Ehren des Gründers des Tokugawa Shōgunats, Tokugawa Ieyasu (徳川家康 / とくがわいえやす), erreichtet wurde.

Tōshōgū (東照宮)

Tōshōgū (東照宮)

Der heutige Honden geht wohl auf eine “Eingebung” des Minamoto-no Yoshiie (源義家 / もなもとのよしいえ); 1039 bis 1106) im Jahre 1051 zurück, der eine Errichtung an dieser Stelle verlangt hatte (ja, ich weiß, erstaunlich, was die Leute damals schon im zarten Alter von 12 Jahren einfach mal so „verlangen“ konnten…). Im Jahre 1590 fiel das Gebäude einem Feuer zum Opfer, wurde aber schon 1606 unter Tokugawa Ieyasu (徳川家康 / とくがわいえやす) neu erreichtet – wer ein paar Zeilen weiter oben aufgepasst hat, weiß: das war der Gründer des Tokugawa Shōgunats, das für die darauffolgenden 260 Jahre die Geschicke des Landes lenken sollte. Teile des Schreins wurde bei einem neuerlichen Brand im Jahre 1646 zerstört und wieder neu errichtet. 1867 wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten ausgeführt und nach Taifunschäden von 1965 im Jahre 1968 erneut repariert.
Das Gebäude, das nur mit einigen Verrenkungen durch dessen Umzäunung eingesehen werden kann, macht von seinem Baustil her einen ganz besonders altertümlichen Eindruck, auch wenn es hervorragend restauriert daherkommt. Ein wahrhaftig mystischer Ort, den man durchaus ein bisschen auf sich wirken lassen sollte, bevor man sich noch einmal dem Haupthof vor dem Haiden widmet.

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Honden (本殿)

Ōkunitama Jinja (大國魂神社) Honden (本殿)

Während des Kurayami Matsuri befindet sich auf der Nordostseite des Schreinareals ein großer Blumenmarkt, der fast schon südfranzösisches Flair an den Tag legt. Und gleich nebenan ist eine große Trinkhalle installiert.

Allerdings wird während dieser Zeit auch schon die Verlängerung der Zelkoven-Allee, die von Norden zum Haupttor führt, von zahllosen Imbissbuden gesäumt (siehe ganz oben) – wer hier nicht auf seine Kosten kommt, kommt es nimmermehr.

Adresse des Schreins:

〒183-0023 東京都府中市宮町3-1

3-1 Miyamachi
Fuchū-shi
Tōkyō 183-0023

Wie man hinkommt:

Mit der Keiō-Linie (京王線 / けいおうせん) nach Fuchū (府中 / ふちゅう) und von dort zu Fuß ca. 5 Minuten in südlicher Richtung.
oder
Mit der JR Musashino-Linie (JR武蔵野線 / JRむさしのせん) nach Fuchū Honmachi (府中本町 / ふちゅうほんまち) und von dort für ca. 5 Minuten in nordöstlicher Richtung.

Öffnungszeiten:

1. April bis 14. September: 6 Uhr bis 18 Uhr
15. September bis 31. März: 6.30 Uhr bis 17 Uhr

Eintritt frei

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